Franz Oberthür und der Polytechnische Zentralverein

Die Stadt Würzburg verfügt über zahlreiche berufliche Schulen. Begründet ist diese Vielfalt u.a. durch eine lange Tradition der beruflichen Bildung, die vor ziemlich genau 200 Jahren ihren Anfang nahm. Am 30. August 1806 unterzeichnete der damalige Landesherr des Großherzogtums Würzburg, Erzherzog Ferdinand von Toskana, ein Dokument, welches die Gründung einer „Gesellschaft zur Vervollkommnung der mechanischen Künste“ bestätigte. Bürgerliches Engagement bildete also die Basis des Vereins, der seit 1851 den Namen „Polytechnischer Zentralverein“ trug.

Hauptinitiator der Gründung im Jahre 1806 war Franz Oberthür (1745–1831), ein Theologieprofessor und als Geistlicher Rat Mitglied der landesherrlichen Regierung, der bereits als Bildungs- und Sozialreformer in Würzburg Anerkennung erlangt hatte. Sein Name ist in der Stadt heute noch präsent: Zum einen wurde eine Straße in der Innenstadt nach ihm benannt, in der sein Wohnhaus stand, zum anderen ist Franz Oberthür Namenspatron einer großen beruflichen Schule in städtischer Trägerschaft, die zwischen 1959 und 1963 neu errichtet wurde. Mit dieser Namensgebung wollte die Stadt die Verdienste Oberthürs um die berufliche Bildung würdigen.

Zur Biografie Franz Oberthürs
Franz Oberthür kam 1745 in Würzburg als eines von sieben Kindern des Gärtners Paul Thomas Oberthür und seiner Frau Maria Katharina Söllner zur Welt. Der eine Großvater war Färber aus Volkach, der andere Schmiedemeister aus Kitzingen. Nur drei Kinder erreichten das Erwachsenenalter: der älteste Sohn Franz, sein vier Jahre jüngerer Bruder Bonifaz und die 18 Jahre jüngere Schwester Barbara.
Der Vater der Oberthür-Geschwister hatte bei den Karmeliten, deren Garten er pflegte, grundlegenden Unterricht erhalten, so dass er seine Kinder in Rechnen, Lesen und Schreiben, und sogar in Latein unterweisen konnte. Die beiden Brüder entschieden sich für die geistliche Laufbahn, und da ihre Begabungen erkannt wurden, fanden sie Förderer, die ihr Fortkommen unterstützten. Franz Oberthür erhielt sogar die Möglichkeit, sich zwei Jahre in Italien aufzuhalten. Nach seiner Rückkehr erhielt er mit 28 Jahren eine Professur für Dogmatik an der Würzburger Universität.
Beim Tod der Mutter im Jahr 1772 stellte sich für die beiden Brüder die Frage nach der Versorgung Barbaras. In einem adeligen Haushalt lernte sie die Wirtschaftsführung und führte ab 1778 den Haushalt Franz Oberthürs bis zu ihrem Lebensende. Vermutlich hat diese Erfahrung auch zum Engagement Oberthürs im Bereich der Mädchenbildung beigetragen.
Nach seiner Tätigkeit als Stadtschuldirektor in Würzburg wurde er Mitglied der Armenkommission, wobei er im Sinne der Aufklärung auf eine Trennung von Zucht- und Arbeitshaus hinwirkte. Auf ihn geht die Initiative zur Einrichtung einer Lesegesellschaft zurück, ebenso setzte er sich für die Etablierung eines festen Theaters in der Stadt ein. Die an ihn gerichteten Briefe – 5.600 davon sind überliefert – spiegeln eine freundliche und humorvolle Persönlichkeit und zeigen auch, dass Oberthür bis ins hohe Alter ein vielseitig interessierter und aufgeschlossener Mensch war. Am 30. August 1831 ist er in Würzburg verstorben und wurde im Ehrengrab der Stadt Würzburg beigesetzt.

Anfänge der beruflichen Bildung
Das Jahr 1806 stellt somit den Beginn einer geregelten beruflichen Bildung in Würzburg und in der Region Mainfranken dar. Franz Oberthür wollte junge Handwerker bilden und fördern. Dies diene nicht nur dem Einzelnen, sondern dem Wohle aller, sagte er. Es stärke die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Region und mehre somit den Wohlstand. Als Vorbild kann die seit 1765 bestehende „Hamburgische Gesellschaft zur Beförderung der Künste und nützlichen Gewerbe“, die Oberthür auf einer Reise 1790 kennengelernt hatte, angesehen werden. Zunächst fand der Unterricht in Form einer Sonn- und Feiertagsschule statt; 1818 wurde dem Verein von der bayerischen Regierung auch die Aufgabe der beruflichen Bildung übertragen. 1859 fand der Polytechnische Zentralverein sein Domizil in der neu errichteten Maxschule, die 1945 zerstört wurde.

Engagement für Mädchenbildung
Bereits in seiner Zeit als Stadtschuldirektor in den 1780er Jahren war offensichtlich, dass Oberthür die Mädchenbildung besonders am Herzen lag. Schon bald nach der Gründung der Gesellschaft äußerte Oberthür Überlegungen, dass ein ähnlicher Verein auch für Mädchen und Frauen eingerichtet werden solle, doch wurde dies zu seinen Lebzeiten nicht verwirklicht. 1863 bot der Verein erstmals Buchführungskurse für Mädchen an, 1897 wurde die „Erweiterte Fortbildungsschule für Mädchen“ eingerichtet.

Fortleben des „Polytechnischen Zentralvereins“
Nach 1859 wechseln die verschiedenen Sparten des beruflichen Bildungswesens mehrfach zwischen staatlicher, städtischer und der Trägerschaft des Vereins. 1920 wird die „Gewerbe-, Zeichen- und Modellierschule“, die der Verein in eigener Regie betreibt, aufgelöst; es finden lediglich noch vereinzelt Fachunterrichtskurse statt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit der Errichtung der „Kunst- und Handwerkerschule“ im Jahr 1948 an die Tradition des Polytechnischen Zentralvereins angeknüpft. 1969, mit dem Umzug in Räume in der Hans-Löffler-Straße, erfolgte die Umbenennung in „Städtische Werkkunstschule“, die bereits 1972 als Fachbereich Gestaltung in die Fachhochschule Würzburg-Schweinfurt einging. Insofern ist das von Franz Oberthür initiierte Werk heute noch präsent.

Peter Thiel/ Renate Schindler
21.12.2022