„Ich habe mit den Augen gelernt“

Der Bericht kam durch ein Interview mit Abdou und seinem „Pflegepapa“ Herrn Summa zustande.

Mein Schüler Abdou kam in der 11. Klasse Köche als Gastschüler aus Baden-Württemberg zu mir an die Franz-Oberthür-Schule. Da sein Weg nicht so leicht war, wollte ich davon berichten. Denn seine Geschichte steht stellvertretend für viele im Gastronomiebereich an der Franz-Oberthür-Schule und soll gerade denen Mut machen, die gerade Rückschläge erleiden oder Steine in den Weg gelegt bekommen. Denn genau so war es auch bei Abdou.

von links nach rechts: Herr Summa, Abdou, Herr Beck (Foto: Margit Maier)

Er kam vor 6 Jahren (2016) als geflüchteter Jugendlicher nach Deutschland. In seinem afrikanischen Heimatland hat er bis dahin keine Schule besucht und war deshalb Analphabet. Er startete seine schulische Karriere zunächst in Heidelberg. Dort besuchte er einen Monat lang ein großes Wohnheim für minderjährige Flüchtlinge. Eine reguläre Schule gab es zunächst nicht, sondern lediglich einen „Spielunterricht“ mit den Betreuern vor Ort. Danach zog Abdou nach Wertheim um und hatte dort seinen ersten Sprachkurs. Schreiben und Lesen lernte er dann in einer neuen Schule (VABO) für ein Jahr. Da Abdou gute Fortschritte erreichte durfte er nach einem halben Jahr mit drei Mitschülern ein Jahr im Lehrgang vorrücken, um schneller zu lernen. Dort absolvierte Abdou seine A1 und B1 Prüfung und den Hauptschulabschluss. Wahnsinn, nach nur 2 Jahren lesen und schreiben.

Während der Zeit erledigte er auch immer wieder berufliche Praktika. Zunächst wollte Abdou Automechaniker werden, da sich hier aber nicht so schnell ein Ausbildungsvertrag ergeben hat und ihm das Betriebspraktikum in der Küche auch viel Spaß bereitet hat, entschloss er sich für eine Ausbildung als Koch.

Neben seinen bisherigen guten Integrationsbemühungen hat sich bei Abdou allerdings ein großes Problem ergeben. Die Ausländerbehörde machte die Duldung in Deutschland von seinem Ausbildungsbetrieb abhängig. Das hieß, würde Abdou dort kündigen, würde er sofort abgeschoben werden. Sowohl die Schule als auch der Betrieb wurden darüber informiert und somit war Abdou in der Hand seines Betriebes. Leider wurden ihm dort auch viele Arbeiten zugemutet, die nicht dem Ausbildungsziel dienten und während der ersten 1-2 Jahre durfte Abdou kaum wirklich kochen. Sein Chef vertröstete ihn immer auf später und teilte ihn lediglich beim Spülen, Salat vorbereiten, Kartoffelschälen, Restaurantsaugen, etc. ein. Lediglich die Schwiegertochter seines Chefs lies Abdou, wenn die beiden alleine waren, als normalen Kochazubi mitarbeiten. Abdou hat aber auch die Zeit vorher genutzt und meinte „ich habe mit den Augen gelernt“. Er ging immer mit wachem Blick zur Arbeit und hat sich sehr viel praktisches Wissen abgeschaut. Dies hat er dann auch sehr zur Überraschung seines Chefs unter Beweis gestellt, als dieser in einer „Notbesetzung“ in der Küche mit Abdou plötzlich allein kochen musste. Daraufhin wurde Abdou als Kochazubi wirklich wahrgenommen und durfte auch mehr und mehr seinen eigentlichen Aufgabenbereichen nachkommen. Was ihn immer mehr zum guten Koch werden hat lassen.

Abdou hatte während seiner Ausbildung noch eine große Hilfe, die leider nicht allen Azubis in seiner Situation zur Verfügung steht: Herr Summa. Dieser gab Abdou bei sich zu Hause eine Wohnung und sieht ihn heute als seinen „Ziehsohn“. Herr Summa ist selbst ausgebildeter Koch und hat fleißig mit Abdou gelernt und gekocht. Was wahrscheinlich mindestens genauso hilfreich war, ist die Tatsache, dass Herr Summa sich in Abdous Lehrzeit auch immer wieder bei Behördengängen eingemischt und zusätzliche Hilfsangebote für die Sprachförderung und Prüfungsvorbereitung besorgt hat. So besuchte Abdou zusätzlich zur Schule auch noch das Kolping-Bildungswerk, um sein Ziel „erfolgreiche Abschlussprüfung“ zu erreichen.

In der Schule hatte Abdou zwei für ihn sehr wertvolle Mitschüler, Pascale und Arne. Die beiden unterstützten Abdou immer auch in meinem Unterricht, wenn ich gerade nicht genug Zeit für alle Schülerfragen hatte. Sie erklärten ihm Begriffe, so dass er dem Unterricht folgen konnte und den Lehrstoff verstand. Außerdem betonte Abdou während unseres Gespräches noch einmal explizit die hilfsbereiten Lehrkräfte unserer Abteilung.

Bei all dem Positiven gab es natürlich auch für Abdou immer wieder Probleme und Rückschläge während seiner Ausbildungszeit. Das Hauptproblem war immer die Angst im Hinterkopf doch nicht in Deutschland bleiben zu dürfen. Zudem kam die Sprache. Bei der Abschlussprüfung war die Sprache und damit verbunden die Arbeitszeit die größte Hürde. Praktisch wusste Abdou, dass er die Prüfung schaffen kann. Und so kam es dann auch, dass Abdou bei seinem ersten Versuch die praktische Prüfung gut bestand, allerdings bei der theoretischen Prüfung scheiterte. Gott sei Dank kam Abdou dennoch zur Schule und im Einzelnachhilfeunterricht mit ihm wurde er für den zweiten Versuch fit gemacht. Diesen hat er dann mit einer mündlichen Nachprüfung in einem Prüfungsteil bestanden. So dass Abdou jetzt ein fertig ausgebildeter Koch ist und diesen Beruf auch weiterhin gerne ausüben will. Darüber hinaus bekam Abdou nun auch seine endgültige Aufenthaltsgenehmigung.

Nachdem nun schon so ein langer und manchmal steiniger Weg hinter ihm liegt, plant Abdou aber schon wieder weiter. Er will seine Sprache noch verbessern und dann seinen Küchenmeister machen. Wenn alles gut läuft, möchte sich Abdou evtl. später selbstständig machen und zeigen, dass dieser Beruf sehr viel Spaß machen kann, wenn man eine menschliche Mitarbeiterführung lebt. Bei so viel Fleiß und Durchhaltevermögen halte ich Abdous Ziel für absolut realistisch und wünsche ihm von Herzen alles Gute für seinen zukünftigen Lebensweg und viel Erfolg.

Vor dem Interview habe ich meine Kochklasse 11a gebeten mir Fragen für Abdou zu formulieren.

All die Fragen, die nicht explizit mit seinem Lebensweg zu tun hatten, habe ich hier noch einmal gesondert im Interview-Stil geschrieben.

Frage:   Was hebt sich sprachlich im Betrieb von der „normalen“ Sprache ab?

Abdou: Der Küchenjargon war anfangs etwas schwer. Später habe ich viele Begriffe gelernt und habe

nun keine Schwierigkeiten mehr in der Küche.

Frage:  Wie viel Rassismus ist dir in Deutschland begegnet?

Abdou: Ehrlich gesagt, das macht mir nichts aus. Zwei bis drei Mal ist mir das passiert. Durch meine

Freundlichkeit habe ich selten Probleme bekommen. Die lustigste Geschichte war dabei eine

Polizeikontrolle. Ich hatte noch Dreadlocks und wurde in meinem Auto aufgehalten und zu

einem Urintest gebeten. Sie vermuteten, dass ich Alkohol getrunken hätte. Da es aber vor Ort

keine Toilette gab und ich nicht einfach so in der Öffentlichkeit urinieren wollte, nahmen mich

die Beamten mit ins Präsidium. Sie sagten mir auf dem Weg, dass ich der erste Afrikaner wäre,

der keine Drogen/ Alkohol zu sich nähme. Dort begegnete ich dann meinem Fußballtrainer

(ebenfalls Polizist), der den Kollegen versicherte, dass ich niemals Alkohol trinke. Sie wollten

mich dann gehen lassen. Allerdings bestand ich dann auf den Urintest, damit ich den deutschen

Beamten zeigen konnte, dass es auch Afrikaner gibt, die sich an die Regeln halten. Nachdem

alles Überstanden war sollte ich vom Präsidium aus heim gehen. Selbstbewusst verlangte ich

dann aber auch eine Rückfahrt zu meinem Auto 😉. Und die Polizei hat das gemacht.

Frage:  Was ist deine Lieblingsküche/ Lieblingsspeise?

Abdou: Zwiebelrostbraten. Insgesamt liebe ich die deftige klassische Küche.

Frage:  Welchen Lieblingsposten hast du in der Küche?

Abdou: Rottiseur (Bratenkoch)

Text: Margit Maier
09.07.2022