Erstmals nach vielen coronabedingten Einschränkungen lud im Oktober 2022 die Universitätsbibliothek Würzburg (UB) wieder zu einer Präsenzveranstaltung der Reihe „echt nachhaltig“ in die Zentralbibliothek am Hubland. Das zentrale Thema: die Korrespondenz Franz Oberthürs. Im Keller der UB lagert die umfangreiche Briefsammlung des Würzburger Bildungs- und Sozialreformers aus dem 18. Jahrhundert. Dieser Schatz umfasst in etwa 5000 an ihn gesandten und von ihm gesammelten Briefe.
Diese sollen nun soweit restauriert werden, damit sie anschließend digitalisiert, erschlossen und als digitale Version der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können. Interessant ist das vor allem, denn Franz Oberthür ist der Namensgeber für ein großes Berufsbildungszentrum, das seinen Namen nun wirklich verdient. Mit der Gründung des „Polytechnischen Vereins“ im 18. Jahrhundert sorgte Oberthür dafür, dass die praktische Ausbildung in einem Beruf auch theoretischen Wissens bedarf. Er ist damit der eigentliche Begründer einer dualen Berufsausbildung im Lehrbetrieb und in der Schule – ein Umstand, der heute für fast alle Auszubildenden Standard ist.
Obwohl der Veranstaltungshinweis der UB zur Vorstellung der Briefe an Oberthür der örtlichen Tagespresse zu entnehmen war, fanden sich zum Veranstaltungstag im Oktober 2022 nur eine Handvoll Interessierte in er UB ein. Schade eigentlich, denn das Team der UB hatte im Sondermagazin eine wirklich reizende Veranstaltung zu bieten. Frau Friedlein begrüßte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit einer kurzen Einleitung, um dann Frau Dr. Schindler den inhaltlichen Part zu überlassen. Sie hatte eine interessante Auswahl an Briefen an Franz Oberthür herausgesucht, die sowohl im Original als auch in einer Präsentation in Augenschein genommen werden konnten. Ihrer Aussage nach war die Auswahl herausfordernd, denn es gibt viele Briefe an Oberthür, die interessant sind und sich für die Vorstellung eigneten.
Die ausgewählten Themenbereiche waren ganz lebenspraktische: Anfragen zur „ordentlichen“ Unterkunft eines Freundes für seinen studentischen Neffen, Begleitschreiben zu mitgeschickten Schinken, Grüße an die Schwester Oberthürs, Verwunderungen über seine neue Frisur mit oder ohne Perücke, Briefwechsel mit seinem Bruder zu angeblichen Lotto-Gewinnen in Rom. Frau Dr. Schindler trug immer wieder Textausschnitte vor, um sie dann in den historischen Zusammenhang einzuordnen und zu kommentieren. Ihr Fazit lautet: Die Familie Oberthür, Franz, sein Bruder und seine Schwester scheinen aus den Briefen heraus als gebildete, aber humorvolle und lebensnahe Menschen, die sie gerne kennengelernt hätte. Damit auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Vortrags sich noch besser in die Lebenslage Oberthürs versetzen konnte, erhielt jeder ein gefaltetes und versiegeltes Faksimile eines der ausgestellten Briefe. So konnte man ganz plastisch ausprobieren, welche Beschädigungen durch das Öffnen entstehen. Nun ist es an Frau Püttmann, die dafür sorgt, die Risse, Verschmutzungen und Schadstellen in den Originalbriefen zu behandeln. Diese Behandlung ist für das Handling der anschließenden Digitalisierung notwendig und wurde den Zuschauerinnen und Zuschauern live demonstriert. Etwa zwei Stunden füllten zahlreiche Eindrücke, Antworten und ein Faksimile-Brief zum Mitnehmen – eine tolle Sache, einem zeitlich so fernen Würzburger so nahe kommen zu dürfen.
Um auch – und vor allem – den Kolleginnen und Kollegen der Franz-Oberthür-Schule diese Möglichkeit zum Kennenlernen geben zu können, haben die Damen der UB sich auf den Weg in unsere Schule gemacht. Am Pädagogischen Tag stellten sie dem Kollegium ausgewählte Briefe in digitaler Form und den Menschen Franz Oberthür dahinter in einem ebenso zielgerichteten Vortrag vor: Schinkensendung in der Anlage, Rezeptwünscht für Senf Würzburger Art und die Anschaffung eines neuen topmodernen Reisewagens.
Nun kennen wir nicht nur die Steinbüste im Eingangsbereich der Schule, sondern auch den lebendigen und humorvollen Menschen darin etwas besser.
Janina Seyler
17.11.2022